In seinem Debütroman erzählt der französische Autor die Geschichte von Guylain Vignolles. Einem Mann voller Eigenheiten am Rande der Gesellschaft. Schon in seiner Kindheit hatte er es schwer, denn wenn man bei seinem Namen nur zwei Silben vertauscht, ergibt das Vilain Guignol, was so viel bedeutet wie „dummer Kasper“. Deswegen ist es ihm am liebsten, unsichtbar zu sein und schnell vergessen zu werden. Seine besten Freunde sind sein Goldfisch, ein ehemaliger Kollege, der einen ungewöhnlichen Sammelzwang hat und der Wachmann Yvon Grimbert, der nur in Versen spricht.
Außerdem hasst Guylain seine Arbeit. Jeden Tag wird er aufs Neue gezwungen, die Bestie zu füttern oder auch Zerstör 500. Sein ganz persönliches Monster, denn alles was es tut, ist das Schreddern und Zerstören von Büchern.
Sein einziger Lichtblick jeden Tag ist das Vorlesen im 6-Uhr-27-Zug, um ein paar einsamen geretteten Blättern wieder Leben einzuhauchen. Der monotone, graue Alltag des Vorlesers endet jedoch an dem Tag, als er in genau diesem Zug einen roten USB-Stick findet. Auf diesem entdeckt er das Tagebuch einer ganz besonderen Frau und beschließt, sich auf die Suche nach ihr zu machen. Dabei findet er sich auf einer Reise zu sich selbst und den schönen Seiten des Lebens wieder.
Protagonistin dieses Briefromans ist Johanna, eine knapp 50-jährige Journalistin. Ihre Mutter, mit 84 Jahren immer noch Betreiberin einer Künstleragentur, war, trotz aller Warnungen, zu Beginn der Pandemie nach Italien gereist. Sie hatte sich dort infiziert, landete letztlich auf der Intensivstation und ist dort, wie so viele, einsam gestorben, ohne dass die Tochter sie nochmal sehen konnte.
In dieser schwierigen Zeit erhält Johanna eine Postkarte mit der Frage, wie es ihr gehe von ihrem ehemaligen Philosophieprofessor Max, der zurückgezogen auf einer griechischen Insel lebt.
Dies ist der Anfang einer langen Korrespondenz, in der Johanna sich ihren Frust von der Seele schreibt, ihre Wut über den Leichtsinn ihrer Mutter, ihre Verzweiflung über die Unmenschlichkeit der pandemiebedingten Einschränkungen, die ihr einen würdevollen Abschied unmöglich machen. Max antwortet jeweils nur, indem er auf Kunstpostkarten kurze Fragen aufwirft, während Johanna in seitenlangen Briefen die aktuelle Situation reflektiert. Sie schreibt über ihre Trauer, philosophiert über die Frage, ob und wie man in diesen trostlosen Zeiten Trost finden kann, über den Umgang der Gesellschaft mit der Pandemie und ob es Sinn macht, aus Angst vor dem Tod auf das Leben zu verzichten.
Das Buch spiegelt die Situation während der ersten Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 wieder, ist aber, angesichts der momentanen Entwicklungen immer noch aktuell. Wenn man dazu bereit ist, sich darauf einzulassen, kann man hier – unabhängig davon welche Position man selbst bezieht – verschiedene Sichtweisen auf die ganze Problematik kennenlernen, z. B. von Menschen, die tatsächlich unter diesen Umständen jemanden verloren haben oder – so wie praktisch die gesamte Kulturbranche und viele andere – in ihrer Existenz bedroht sind.
Gerade in diesen Zeiten eine lohnende Lektüre!
Sabine Köstler